Herr Yilmaz, Mathelehrer einer 6. Klasse in einer deutschen Großstadt, meldet sich mit einer E-Mail bei Schulsekretärin Frau Tell und ihrer Kollegin Frau Ruth krank. Durch diese Mail produziert er eine Vielzahl an Daten, die auf eine verzweigte Reise innerhalb und außerhalb seiner Schule gehen.
Frau Ruth ist für die Vertretungsplanung verantwortlich. In dieser Schule gibt es dafür Regeln: eine Vertretung aus möglichst gleichem Fach, kennt die Klasse und hat noch nicht zu viele Überstunden. Diese Regeln sind in der Software eingeschrieben, die Frau Ruth zur Unterrichts- und Vertretungsplanung nutzt. Die Software schlägt einen „Treffer“ vor: Frau Müller. Sie wird von Frau Ruth informiert und übernimmt die Mathestunden. Die Schulsekretärin, Frau Tell, informiert die Schüler*innen, falls sie sich in ihrem Büro nach der Vertretung erkundigen.
Daten über Unterrichtsausfall sind wichtig: Die Politik zieht daraus Schlüsse über die Qualität einer Schule und Erziehungsberechtige darüber, an welche Schule sie ihre Kinder schicken.
Diese Ausfalldaten generiert in vielen Schulen in Deutschland Untis – eine Software für Unterrichtsplanung. In einigen Bundesländern werden diese Daten anschließend für Statistikzwecke an Bildungsbehörden verschickt. Dafür werden die Daten aggregiert: Statt genauen Namens- oder Tagesangaben werden alle Ausfälle in Pakete zusammengefasst, z.B. monatlich.
In der Ada-Lovelace-Schule überträgt die Schulleiterin Frau Dr. Onuoha Unterrichtsausfalldaten nur sporadisch an die Schulbehörde. Diese werden nur weitergegeben, wenn beispielsweise sehr viel Unterricht ausfällt oder Eltern sich beschweren.
Dr. Onuoha denkt deswegen, dass ihre Schule noch nicht „gläsern“ ist und Daten nur durch die Prüfung der Schulbehörde das Schulleben preisgeben würden. Dr. Onuoha geht mit dem Unterrichtsausfall innerhalb ihrer Schule in Eigenregie um und schont ihre Kolleg*innen: z.B. indem sie externe Lehrkräfte als Ersatz für ausgefallenen Unterricht häufiger einsetzt.
An der Grace-Hopper-Schule übermittelt der Schulleiter Herr Kamp monatlich die Unterrichtsausfalldaten an die Schulbehörde für statistische Zwecke. Untis erzeugt „automatisch“ aggregierte Daten, die Herr Kamp exportiert und an die Behörde verschickt.
Herr Kamp findet, dass diese aggregierten Daten häufig den wirklichen Schullalltag nicht richtig abbilden. In seiner Schule wird in Kleinklassen unterrichtet und wenn eine Lehrerin krank wird, werden die Kleinklassen zusammengelegt. Unterricht fällt also praktisch selten aus. Herr Kamp muss deshalb die Daten für die Statistik monatlich „übersetzen“, damit die Schulbehörde kein falsches Bild seiner Schule erhält.
An der Gertrude-Blanch-Schule kann Schulleiterin Frau Khan Unterrichtsausfallsdaten wöchentlich per Knopfdruck in Untis an die Schulbehörde für Statistikzwecke weitergeben. Untis ist in diesem Bundesland direkt mit der Software der Schulbehörde verknüpft.
Frau Khan weiß, dass die Behörde ihre Schule dadurch kontrollieren kann und zum Beispiel im Fall von vermehrtem Unterrichtsausfall kontaktieren wird. Gleichzeitig kann Frau Khan durch die Daten der Behörde mitteilen, wenn es in der Schule nicht gut läuft, wie zu den Zeiten der Pandemie. Frau Khan helfen die Daten dabei, der Behörde ein reales Bild des Schulalltags mitzuteilen. Auf diese Daten erwartet sie eine Reaktion der Behörde, z.B. in Form von Unterstützungsangeboten.
Das Datum über die Krankmeldung von Herrn Yilmaz hat noch eine lange Reise vor sich. Es hat sich jedoch vielfach verändert, z.B. anonymisiert – verlor persönliche Informationen und wurde auch zu einem Paket mit anderen Daten aggregiert. Das Kultusministerium verarbeitet anschließend diese Datenpakete weiter, veröffentlicht diese oder gibt sie an andere Stellen z.B. an die Schulaufsicht, für Bundesstatistik bis hin zu internationalen Bildungsorganisationen weiter. Auf die öffentlichen Daten können dann Erziehungsberechtigte, Journalist*innen oder Wissenschaftler*innen zugreifen.
Am Beispiel des Unterrichtsausfalls zeigte diese Reise, wie unterschiedlich Schulen in verschiedenen Bundesländern mit Daten umgehen.
Dabei spielen die dafür verwendete Software und die Rhythmen des Austausches zwischen Schulen und Behörden eine zentrale Rolle. Ähnlich wichtig ist sicherlich auch die Bildungspolitik. Alle diese Aspekte fließen in die Produktion und Interpretation digitaler Daten mit ein. So ist das Bild der Schule, das digitale Daten vermitteln, durch Vorstellungen verschiedener Stakeholder geprägt und mit ihren Erwartungen an Schule verknüpft.
Außerdem sind die Unterrichtsausfalldaten nur ein kleiner Teil schulischer Daten. Sowohl die Daten als auch die Software sind mit anderen verknüpft, überlappt oder aber es gibt Brüche: z.B. wenn andere Daten übertragen werden, aber Unterrichtsausfall nicht. Derartige Überlappungen und Brüche finden sich nicht nur in der Schule, sondern ebenso in den Schulbehörden, die Daten aus den Schulen für Steuerung bzw. Verwaltung nutzen, und zwar sowohl beabsichtigt als auch unbeabsichtigt.